Die Auswirkungen von Strafe in der Hundeerziehung
- Chantal Stecher
- 8. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Immer wieder liest man über Training über positive Verstärkung. Doch was ist das überhaupt?Positive Verstärkung bedeutet, dass der Hund für gutes Verhalten oder für eine gute Leistung belohnt wird. Das kann in Form von z.B. Futter oder einem Spielzeug sein, oder der Hund darf als Belohnung das tun, was er gerade tun wollte. Auch Sachen aus der Umwelt können als Belohnung benutzt werden. Positive Verstärkung sollte in der Hundeerziehung immer das Mittel der Wahl sein. Doch ist eine Erziehung rein über positive Verstärkung überhaupt möglich? Nicht ganz! Nehmen wir als Beispiel die Leinenführigkeit. Dem Hund eine schöne Leinenführigkeit anzutrainieren rein nur über positive Verstärkung ist praktisch unmöglich. Es gibt x-verschiedene Methoden, dem Hund beizubringen, an lockerer Leine zu laufen. Bei meiner Methode lernt der Hund, dass es toll ist bzw. dass es sich lohnt, neben Herrchen/Frauchen zu laufen und wird auch möglichst „abgefangen“, bevor er überhaupt in die Leine läuft. Doch wenn Herrchen/Frauchen zu spät reagieren oder der Hund sich z.B. einfach nicht mehr aufs Leinenlaufen konzentrieren kann, zu aufgeregt ist etc., dann läuft er trotzdem das ein oder andere Mal in die Leine. Und genau hier fängt die Strafe an. Da der Hund nicht lernen sollte, dass er mit Ziehen sein Ziel erreicht, müssen wir ihn z.B. durch Stehenbleiben daran hindern, dass sich das Ziehen an der Leine für ihn lohnt. Das Stehenbleiben in diesem Beispiel geht streng genommen unter Strafe, da der Hund an seinem Verhalten gehindert wird und so nicht das bekommt, was er gerne hätte oder das tun darf, was er gerne würde. Dasselbe gilt, wenn der junge Hund uns z.B. bei der Begrüssung anspringt. Natürlich ist im Training das Ziel, den Hund durch ein Signal oder ein geeignetes Alternativverhalten ans Hochspringen zu hindern. Und wenn er es trotzdem mal tut? Auch wenn wir ihn in einer solchen Situation einfach „nur“ ignorieren, ist das Ignorieren eine Strafe, denn er möchte ja eigentlich unsere Aufmerksamkeit und wir entziehen ihm diese. Wie ihr seht ist Hundeerziehung ohne jegliche Art von Strafe kaum möglich.
Leider wird noch heute in der Hundeerziehung oft auf aversive Methoden zurückgegriffen. Noch heute kommen oftmals Wurfketten, Wasserflaschen etc. zum Einsatz. Noch heute werden dem Hund z.T. Schmerzen zugefügt oder mit Schreckreize „korrigiert“. Unsere Hunde bzw. deren Verhalten werden seit Jahrzehnten erforscht. Heute weiss man, dass solche aversive Trainingsmethoden mehr schlecht als recht sind. Heutzutage weiss man so viel über das Lern- und Ausdrucksverhalten von Hunden, dass solch veraltete Trainingsmethoden weder notwendig noch empfehlenswert sind. Und doch gibt es noch heute zahlreiche Hundetrainer/innen und Hundeschulen, die über Bestrafung arbeiten, die noch nach „alter Schule“ trainieren und die noch an die komplett veraltete Dominanztheorie glauben und dies auch so weitervermitteln. Ich möchte hier einmal aufzeigen, warum die Erziehung über Strafe abzulehnen ist und was sie mit unseren Hunden macht:
Nehmen wir als Beispiel einen Hund mit einer Leinenaggression: Springt ein Hund in einer Begegnungssituation bellend oder knurrend in die Leine, sehen wir häufig den Leinenruck, körperliches Blocken, den Einsatz der Wasserflasche, Schimpfen oder eine körperliche Maßregelung als Strafmaßnahmen. Reagiert der Hund beim Anblick eines anderen Hundes bereits mit bellen, knurren oder starkem Stress, ist der Hund ja bereits in einem negativen emotionalen Zustand und einer hohen Erregungslage. Durch diese aversiven Maßnahmen fügen wir dem Hund noch Unangenehmes hinzu. Der Hund lernt also überwiegend, dass der andere Hund auch eine unangenehme Reaktion vom Halter zur Folge hat. Das unerwünschte Verhalten kann so künftig früher und stärker einsetzen. Es kann allerdings auch sein, dass wenn die Strafe so stark ausfällt, dass der Hund in seinem Verhalten gehemmt wird und nach außen ruhig erscheint, das Problemverhalten aber nun an anderer Stelle oder plötzlich und sehr intensiv auftritt. Wieso? Die Emotion, die hinter seinem Verhalten gesteckt hat, bleibt weiterhin unverändert!
Da der Hund durch die Strafen nicht lernt, was er denn statt des unerwünschten Verhaltens tun soll, wird er einen anderen Weg finden, mit dem Problem umzugehen. Strafen schaffen also keine Alternative. Das kann nur Training! Wird mir ein Hund mit einer Leinenaggression vorgestellt und die Halter erzählen mir, wie sie bereits durch Strafe versucht haben, das Verhalten „abzustellen“, frage ich immer, was für Emotionen sie ihrem Hund bei einer Hundebegegnung wünschen. Soll er entspannt und freudig sein, oder soll er Angst haben und wütend sein? Wie soll der Hund lernen, entspannt an einem anderen Hund vorbeizulaufen, wenn er bei jeder Hundebegegnung bestraft wird?
Weiterhin sollte bedacht werden, dass die Gefahr von sogenannten Fehlverknüpfungen beim Strafen sehr groß ist. Wer sagt uns, dass der Hund den Strafreiz tatsächlich mit seinem Verhalten verknüpft und nicht etwa mit dem anderen Hund? Verknüpft der Hund die Strafe mit dem anderen Hund anstatt mit seinem Verhalten, dann lösen bei ihm andere Hunde noch mehr negative Emotionen und Stress aus, da für den Hund der andere Hund nicht nur z.B. Wut auslöst sondern auch noch einen z.B. sehr unangenehmen Wasserspritzer. Auch besteht die Gefahr, dass der Hund etwas vollkommen Ungeplantes mit dem Strafreiz verknüpft. Solch eine Fehlverknüpfung ist nur sehr schwer wieder aufzulösen und kann zu erheblichem Leiden des Hundes führen!
Was für mich allerdings die schlimmste Konsequenz beim Bestrafen des Hundes ist, ist der Vertrauensmissbrauch. Damit unsere Hunde uns bedingungslos Vertrauen können, damit sich unsere Hunde in unserer Gegenwart stets sicher und geborgen fühlen können, müssen sie die Gewissheit haben, dass wir ihnen in schwierigen Situationen unterstützend zur Seite stehen, anstatt sie zu bestrafen. Dafür müssen wir in der Lage sein, das Verhalten und die dahinterstehende Motivation des Hundes zu verstehen und wir müssen über das Wissen verfügen, wie wir unserem Hund in solchen Situationen zur Seite stehen und ihm helfen können, und durch welches Alternativverhalten wir das unerwünschte Verhalten ersetzen können. Das schafft Vertrauen und Verbundenheit. Strafe schadet unserer Bindung, dem Vertrauen des Hundes und, auf längerer Sicht, auch seiner mentalen Gesundheit.
Worauf sollte also bei der Auswahl des Hundetrainers oder der Hundeschule geachtet werden? Es gibt diplomierte Hundetrainer und es gibt nicht-diplomierte Hundetrainer (z.B. „Gruppenleiter“). Leider ist „Hundetrainer/in“ keine geschützte Bezeichnung. Grundsätzlich kann sich jeder Mensch Hundetrainer nennen und eine Hundeschule eröffnen. Daher sollte, vor allem bei Problemverhalten oder Verhaltensstörungen, die Ausbildung hinterfragt werden. Hat der Hundetrainer ein Diplom? Wenn ja, von welcher Ausbildungsstätte? Wird hier mit positiver Verstärkung gearbeitet oder noch nach alter Schule über Strafe, körperliche Massregelungen, körperliches Blocken, Frust etc.? Bildet sich diese/r Hundetrainer/in regelmässig fort? Als diplomierte Hundetrainerin und Verhaltensberaterin werde ich oft zu Leuten gerufen, die bereits erfolglos alles Mögliche versucht haben. Was ich im ersten Anamnesegespräch immer frage ist, was denn bereits alles Versucht worden ist, um das Problem zu beheben und je nach Antworten auch, wie sie auf diese Idee gekommen sind. Oft höre ich dann, dass diese Massnahmen durch andere Hundetrainer (oder „Hundetrainer“), die noch über Strafe arbeiten, dem Nachbarn, der bereits seit 20 Jahren Hunde hat, dem Hundesitter, oder durch TV-Hundetrainer empfohlen wurde. Deswegen verurteile ich selbstverständlich niemanden!! Immerhin war ich zu Beginn auch komplett verzweifelt mit meiner Hündin und habe auch nach jedem Strohhalm gegriffen und alle möglichen Tipps befolgt. Auch ich habe bereits meine Hündin mit Wasser bespritzt, weil es mir geraten wurde - immerhin „tut es dem Hund ja nicht weh“. Und natürlich tat mir dies von Herzen leid, nachdem ich mit dem Hundewissenschafts-Studium angefangen hatte und lernte, was das beim Hund anrichten kann! Von daher sage ich niemandem Böse, der bereits auf Rat zu solchen Massnahmen gegriffen hat. Ich erkläre allerdings, warum man solche Sachen aus tierpsychologischer und auch aus ethischer Sicht nicht tun sollte, was die Konsequenzen sein könnten (diese haben die Hundehalter ja meistens bereits zu spüren bekommen) und was wir ab jetzt anders machen.
Heutzutage werden Hunde nur noch selten als reine Gebrauchshunde gehalten. Heutzutage sind Hunde wichtige Familienmitglieder, für die wir uns nur das Beste wünschen – angefangen mit einer zwar konsequenten aber doch liebevollen Erziehung – möglichst frei von Angst, Schmerz, Stress und Frust.

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